Festival Rümlingen

«Ich sitze da, als wäre ich nicht vorhanden»

Robert Walser und die Musik

 

ProgrammMusiktheaterSpaziergängeJahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft

Die Musikalität von Robert Walsers Sprache hat schon viele Komponisten und etwas weniger Komponistinnen zu Vertonungen angeregt. Gerätselt wird dabei immer wieder um das Schweigen und die Stille, die Robert Walser umhüllten, während er seine letzten 23 Jahre in der Heilanstalt Herisau verbrachte.

Auch das Festival Rümlingen geht von dieser Herisauer Zeit des verstummten Dichters aus und rollt den Fall Walser gewissermaßen von hinten auf: Es beginnt mit Walsers stummem Ende und endet mit dessen beredter Jugend. Das Kollektiv Mycelium und Oliver Rutz thematisieren den zum «Patienten 3561» gewordenen Dichter. Mit dem späten Mikrogramm-Schaffen beschäftigen sich Georges Aperghis in seinem Théâtre Musical «Zeugen» für Sopran, Instrumentalensemble und – als ‹Zeugen› – sieben Kasperle-Figuren von Paul Klee, sowie Roland Moser mit dem Musiktheater «Die Europäerin», der ersten Vertonung eines gesamten Mikrogramms. Der letzte Tag des Festivals führt zurück in die Jugend des Dichters: Die Komponistin Anda Kryeziu widmet sich zusammen mit dem Fringe Ensemble aus Bonn und Cantando Admont aus Graz Walsers rätselhafter «Tobold»-Figur.

Doch was wäre Walser ohne seine Spaziergänge! 15 Uraufführungen, interpretiert vom Kölner Ensemble Garage und lokalen Kräften aus dem Appenzell, begleiten das Publikum auf zwei Wanderungen. Die erste von Teufen nach Trogen verarbeitet Walsers Spätwerk, die zweite von Wald nach Heiden beschäftigt sich mit dem frühen und mittleren Schaffen.

Die Jahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft hat die musikalischen Schreibverfahren Walsers und deren Rezeption in der Musik zum Thema; dazu erklingen Werke, die noch zu Walsers Lebenszeit entstanden sind.

Das Festival Neue Musik Rümlingen ist auch 2021 vor allem ein Uraufführungsfestival. Es geht nicht darum, einen Rückblick auf die Vertonungsgeschichte mit über 300 Werken zu Robert Walser zu geben, sondern neue Auseinandersetzungen mit dem Schweizer Dichter anzuregen.  

Partner: Festival KLANG MOOR SCHOPFE, Robert Walser Gesellschaft, Robert Walser Zentrum Bern

Wir danken allen Unterstützer:innen herzlich für ihr Engagement. Eine ausführliche Liste finden Sie im Menü unter Partner

Programm PDF

PROGRAMMÜBERSICHT

Auf Grund der steigenden Fallzahlen hat der Bundesrat am 25. August 2021 die Einführung eines Covid-Zertifikats für Veranstaltungen in Innenräumen empfohlen. Wir nehmen diese Empfehlung auf und verlangen für sämtliche Musiktheater und Lesungen ein Zertifikat. Nicht von dieser Regelung betroffen sind die beiden Spaziergänge vom 18. und 19. September


 

5.–12. September

Cathy van Eck, Prolog am Festival KLANG MOOR  SCHOPFE in → Gais

 

 


Donnerstag 16. September

10.00 Uhr Festivaleröffnung in der → Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell (AI), Appenzell
bis 17.00 Uhr Kollektiv Mycelium: «Patient Nr. 3561» (UA)

Mit: HannaH Walter (Konzeption/Kuration, vl), Charlotte Lorenz (vc), Kaspar von
Grünigen (cb), Samuel Fried (perf), Ernesto Coba, Nicola Mišic, Cedric Spindler (Audio Design)

 

Die Installation kann auch am Freitag 17. und  Sonntag, 19. September jeweils von 10.00–12.00 Uhr besucht werden. Ohne Performance.

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

Unterstützt von: Appenzell Innerrhoden, UBS Kulturstiftung, Gwärtler Stiftung, Nicati de Luze, Stadt Biel, Stadt Thun, BEKB Förderfonds, Pro Helvetia, Kunsthalle Ziegelhütte / Kunstmuseum Appenzell.

 

 


Freitag 17. September

Eröffnung Jahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft «Robert Walser und die Musik» im → Krombachsaal des Psychiatrischen Zentrums Herisau (AR).

 

Unterstützt von: Kulturförderung Appenzell Ausserrhoden, Johannes Waldburger Stiftung, Steinegg, Fred Styger Stiftung, Gemeinde Herisau, Stiftung Herisau in Zusammenarbeit mit dem Robert Walser Zentrum.

 

Das ausführliche Programm des Symposions finden Sie hier

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 


16.30 Uhr Musikalischer und historisch-literarischer Rundgang im Psychiatrischen Zentrum Herisau

 

Barbara Auer, Herisau: Zur Geschichte der Klinik Herisau und zum Patienten Robert Walser.

Oliver Rutz: «Sonst zieh’ ich immer erst einen Prosastückkittel an.» Musikalischer Rundgang für Stimmen und Akkordeon

 

Mit: Ensemble SoloVoices: Francisca Näf (Mezzosopran), Jean-J. Knutti (Tenor), Jean-Christophe Groffe (Bass), Olivia Steimel (Akkordeon)

 

Unterstützt von: Kulturförderung Appenzell Ausserrhoden, Gemeinde Herisau.

 


20.00 Uhr: Georges Aperghis: «Zeugen». Für Sängerin, Ensemble und sieben Handpuppen von Paul Klee (2007)

Konzertante Neufassung (2021) UA

 

Mit: Salome Kammer (voc), Ernesto Molinari (cl), Alejandro Oliván López (as), Teodoro Anzellotti (acc), Françoise Rivalland (cim), Mathilde Hoursiangou (p), Szenographie: Andreas Wenger, Technik: Steve Valentin, Leitung: Marcus Weiss

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

Unterstützt von: Schweizerische Interpretenstiftung, Nicati de Luze, Ernst von Siemens Musikstiftung, Impuls Neue Musik

 

 


Samstag 18. September

Tagsüber

Literarisch-musikalischer Spaziergang von → Teufen (Bürgerort Walsers) nach → Trogen. Einlass 11.00 – 14.00 Uhr

 

Mit Uraufführungen und Werken von: Mathieu Corajod, Stephan Froleyks, Eva-Maria Houben, Ruedi Häusermann, Patrick Kessler, Brigitta Muntendorf, Karl Alfons Zwicker.

 

Ausführende: Ensemble Garage Köln, ChorWald, SinGALLinas, u. a.

 

Näheres zu den Werken und den Ausführenden finden Sie hier

 

Jahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft «Robert Walser und die Musik» im → Krombachsaal des Psychiatrischen Zentrums Herisau (AR).

Das ausführliche Programm des Symposions finden Sie hier 


Abends

→ Rösslisaal, Trogen

18.00 Uhr und 20.00 Uhr: Roland Moser: «Die Europäerin» Musiktheater für zwei Musiker:innen, zwei Sänger:innen und einen Sprecher auf das Mikrogramm 400

 

Mit: Regie und Ausstattung: Ingrid Erb, Dramaturgie: Pierre Sublet. Leila Pfister (mez), Niklaus Kost (bar), Jürg Kienberger (voc), Conrad Steinmann (Blasinstrumente), Helena Winkelman (va)

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

Unterstützt von: Pro Helvetia, Fachausschuss BS/BL, Burgergemeinde Bern, Fondation Nicati de Luze, SUISA, SIS, Fondation Nestlé pour l’Art, Gesellschaft zu Ober-Gerwern, Oertli Stiftung, GVB Kulturstiftung Bern

 

→ Restaurant Schäfli, Trogen

17.30 Uhr und 19.30 Uhr: Lesung aus dem «Räuber»-Roman von Robert Walser
Mit: Ueli Jäggi (Sprecher)

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

→ Kantonsbibliothek, Trogen

Ab 16:00 Uhr: Regula Engeler und Jochen Heilek: Video-Installationen zum «Räuber»-Roman aus den Mikrogrammen Walsers. Live-Musik: Małgorzata Walentynowicz (p), Annegret Mayer-Lindenberg (va)

 

 


Sonntag 19. September

Tagsüber

Literarisch-musikalischer Spaziergang von → Wald nach → Heiden oberhalb Rorschachs. Einlass 10.00 – 13.00 Uhr

 

Mit Uraufführungen und Werken von: Carola Bauckholt, Lilian Beidler, Nicolas Berge / Lucia Kilger, Gisa Frank / Urban Mäder, Paul Giger / Andres Bosshard, Patrick Kessler, Daniel Ott, Charles Uzor, Karl Alfons Zwicker.

 

Ausführende: Ensemble Garage Köln, ChorWald, SinGALLinas, Brass Band Rehetobel, Jugendmusik Rehetobel, Goran Kovacevic (Akkordeon), Paul Giger (Violine), Richard Haynes (Bassklarinette), Hackbrettspieler:innen und Kontrabässe aus der Region.

 

Näheres zu den Werken und den Ausführenden finden Sie hier

 


Abends

Kursaal, Heiden

17.30 Uhr und 19.30 Uhr: Literarisch-musikalische Lesung: Carl Seelig: «Wanderungen mit Robert Walser». Die Topographie des Alpstein als Partitur UA

 

Mit: Ueli Jäggi (Sprecher) und Trio Anderscht: Fredi Zuberbühle (Hackbrett), Roland Christen (cb), Andrea Kind (Hackbrett)

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

Kompositionswettbewerb des Kantons Appenzell AR 2020.

 

→ Saal Gasthaus Linde, Heiden

17.00 Uhr und 19.00 Uhr: Anda Kryeziu: «Tobold» ein MusikTheaterAbend über Robert Walser (2021) UA

 

Mit: Regie: Frank Heuel. Ausstattung: Annika Ley. Schauspiel: Bettina Marugg, Philip Schlom. Gesang: Helena Sorokina (mezz/alt), Christoph Brunner (bass/bar).Musikalische Leitung: Cordula Bürgi

 

Zutritt nur mit gültigem Covid-Zertifikat

 

Eine Koproduktion des Festival Rümlingen mit dem Fringe Ensemble, Bonn und Cantando Admont, Graz.
Unterstützt von: Kunststiftung NRW

 

 


19. November 2021

Nachklang des Festivals in → Rümlingen, Baselland: Ausgewählte Werke der Spaziergänge. Das genaue Programm wird noch bekannt gegeben.

Musiktheater

Für sämtliche Musiktheater gilt eine Covid-Zertifikatspflicht

 

Musiktheater #1

 

Kollektiv Mycelium: «Patient Nr. 3561.»UA

Eine Krankengeschichte in Herisau vom 19. Juni 1933 bis 25. Dezember 1956

16. September 2021, 10.00 – 17.00 Uhr → Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell (AI), Appenzell

Ganztägige installative Performance, basierend auf Recherchen zu Robert Walsers Aufenthalt in der Psychiatrie.

 

Die Installation kann auch am Freitag 17. und  Sonntag, 19. September jeweils von 10.00–12.00 Uhr besucht werden. Ohne Performance.

 

Eine Koproduktion des Festivals Neue Musik Rümlingen mit dem Museum Appenzell.
Konzeption/Kuration: HannaH Walter.

 

Gestutzte Protokollsätze aus der Krankengeschichte und den Pflegeberichten lassen den Patienten Nr. 3561 als eigenständiges Subjekt nicht vorkommen. In seinen letzten 23 Lebensjahren verschwindet Robert Walser im Schoss der totalen Institution Psychiatrie.

Das Kollektiv Mycelium widmet sich den Protokollen des psychiatrischen Prozederes und dem Schreiben über Walser mit einer installativen Performance in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell (Kanton Appenzell Innerrhoden): 23 Jahre Leben in der Psychiatrie werden komprimiert auf einen Tag im Museum. In der immersiven Performance kann sich das Publikum wie in einer Ausstellung frei bewegen.

Alle Etagen, Zwischenetagen und Galerieräume, sowie die labyrinthisch angelegten Brennöfen werden bespielt.

Das ‹Labyrinthische›, das Walsers späte Texte auszeichnet, sowie der monotone Alltag in der Psychiatrie, geprägt durch die Beschäftigungs- und Arbeitstherapie für sogenannte ‹ruhige› Patienten, bilden das formale Prinzip der Kuratorinnenkomposition.

In einer pandemischen Zeit, in der Menschen hinter (Fall)zahlen verschwinden und es auch in der Musik immer stiller wird, therapieren sich die Musikerinnen und Musiker.

Sie verrichten Arbeiten. Falten Notenständer und Filzdecken. Sie hören Stimmen. Fragmente entfernter, telematisch übertragener Räume. Schreiben ab im Bleistiftgebiet musikalischer Mikrogramme. Im immer gleichen Takt der Tage, Monate, Jahre wechseln sie autistisch Tonbänder einer minimalen Musik.

 

Kollektiv Mycelium ist eine Gruppe von jungen Interpretinnen und Interpreten, die sich auf zeitgenössische und transdisziplinäre Projekte spezialisiert haben. An Schnittstellen zu anderen Disziplinen experimentieren sie mit alternativen Konzertformaten und suchen neue Wege der Präsentation zeitgenössischer Musik im Kontext übergreifender (oftmals szenischer) Konzepte.

In die Installation sind folgende Werke und Performances integriert.

  • HannaH Walter (*1989) + Robert Torche (*1989): Schnüre-Verlesen (UA) (Arbeitstitel). Hörstück
  • Tanja Schwarz (*1987): Videoessay (UA). Es kommt, was in mir ist, nicht heraus (2021) (Arbeitstitel)
  • Robert Torche (*1989): Die Strassen besassen das Aussehen von schöngeschriebenen Adressen (2021). Installation von Tonbändern mit Hörkopf
  • Hans Wüthrich (1937–2019): Orte der Zeit 2 (ex libris) (Szene 3 aus Happy Hour Zyklus) für Schauspieler:innen, Tischchen und (uralte) Bücher, die leise atmen (1994–97) (in einer Adaption des Kollektiv Mycelium)
  • Christoph Herndler (*1964): STÄNDCHEN 2011. variable Besetzung
  • Christoph Herndler (*1964): FOLD UNFOLD FELT 1994. Notationsobjekt aus 4 Decken (Filz, 1500 × 1500 mm)
  • Christoph Herndler (*1964): Abschreiben in 3 Teilen (für Streichinstrumente) (2005)
  • Jürg Frey (*1953): aus Sachen (1979/1980)

 

Mit: HannaH Walter (Konzeption/Kuration, vl), Charlotte Lorenz (vc), Kaspar von Grünigen (cb), Samuel Fried (perf), Ernesto Coba, Nicola Mišic, Cedric Spindler (Audio Design)

 

Unterstützt von: Appenzell Innerrhoden, UBS Kulturstiftung, Gwärtler Stiftung, Nicati de Luze, Stadt Biel, Stadt Thun, BEKB Förderfonds, Pro Helvetia, Kunsthalle Ziegelhütte / Kunstmuseum Appenzell.

Eine Koproduktion mit dem Festival Neue Musik Rümlingen.

 


Musiktheater #2

 

Georges Aphergis: «Zeugen» (UA der Neufassung)

Premiere 17. September 2021, 20.00 Uhr, Krombach Saal, Psychiatrisches Zentrum Herisau

Konzertante Neufassung des théâtre musical «Zeugen» von 2007. Basiert auf verschiedenen Texten und Dramoletten von Robert Walser.

 

Gastspiel Januar 2022, Gare du Nord Basel.

 

2007 vertonte Georges Aperghis Texte von Robert Walser für ein fünfköpfiges Ensemble, eine Sängerin, einen Schauspieler und sieben Handpuppen von Paul Klee. Daraus entstand das Théâtre Musical «Zeugen».

Aperghis bringt in diesem Werk zwei zentrale Künstler des 20. Jahrhunderts zusammen, die sich im Leben nie begegnet sind und die sich in Bern ganz knapp verpasst hatten: Als Paul Klee am Heiligabend 1933 das Dritte Reich verliess und in sein Elternhaus in Bern zurückkehrte, war Robert Walser schon in Herisau, wohin er im Juni 1933 gegen seinen Willen eingeliefert worden war.

Mit: Salome Kammer (voc), Ernesto Molinari (cl), Alejandro Oliván López (as), Teodoro Anzellotti (acc), Françoise Rivalland (cim), Mathilde Hoursiangou (p), Szenographie: Andreas Wenger, Technik: Steve Valentin, Leitung: Marcus Weiss

 

Unterstützt von: Impuls Neue Musik, Schweizerische Interpretenstiftung, Nicati de Luze, Ernst von Siemens Musikstiftung, Impuls Neue Musik

Eine Koproduktion mit dem Festival Neue Musik Rümlingen.

 

 


Musiktheater #3

 

Roland Moser: «Die Europäerin»UA

Premiere 18. September 2021, 18.00 Uhr und 20.00 Uhr → Rössli Saal,Trogen

Musiktheater für zwei Musiker:innen, zwei Sänger:innen und einen Sprecher auf das Mikrogramm 400

Kompositionsauftrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

Eine Koproduktion mit den Jardins Musicaux in Cernier und dem Festival Rümlingen. Uraufführung am Festival Jardins Musicaux in Cernier 19. August 2021. Gastspiel: Januar 2022, Gare du Nord Basel.

 

Das Mikrogramm Nr. 400 (Zahl von Nachlassbearbeiter gesetzt) ist auf ein Papier von der Grösse 17,5 × 8 cm geschrieben. Es enthält einen recht umfangreichen Aufsatz, ein kurzes Dramolett mit dem Titel «Die Europäerin» und zwei Gedichte. Vermutlich ist es im September 1927 entstanden, auf dem halben Papier eines «Tusculum»-Kalenders, der bei Altphilologen beliebt war und irgendwie in Walsers Hände kam.

Der Aufsatz, ein Entwurf zum später gedruckten «Theateraufsatz» zum 150. Geburtstag des Dichters, ist ein witzig-kritischer Text über Kleist als Dramatiker. «Ich werde in diesem Aufsatz frech sein, ich fühle es …», so fängt er an. Auch das Dramolett «Die Europäerin», mit einer Sängerin von gesundem Selbstbewusstsein, ihrem Dichter-Freund, und ganz am Schluss einem Begleiter, dessen Stimme die Szene unwirsch beendet. Es handelt sich trotz Komplimenten eher um ein Duell als um ein Duett, einen mehrere Gefühlslagen durchziehenden Dialog. Auf dem gleichen Blatt stehen zwei Gedichte:

«Blonde Bestie, stör mich nicht» mit Zitaten in des Dichters erster Person, und: «Frauen sind in Gemächern / bei Spiegeln, Schmuck und Fächern / das bange Warten selber». Mehrfach tauchen in diesen Gedichten auch Stellen aus dem Aufsatz und der Szene auf. Aber Wörter gebären auch ständig neue Wörter über Assonanzen und Rhythmen. Das klingt wie ein Tanz von Silbe zu Silbe. Klänge und Rhythmen, musikalische, stehen im Zentrum der beiden anderen Personen, die sich in die Szene bringen: Eine Geigerin in der Rolle einer bloss aus dem Off hörbaren virtuosen Solistin, die Fetzen von «Walser-Capricen» übt. Später sieht man sie als Strassenmusikantin auf der Bratsche schlichte aber assoziativ reiche Melodien spielen, «beiseit» sitzend auf einem Feldstühlchen. Ein Bläser mit Okarina – einem Volksinstrument – wandert immer wieder spielend oder stumm über die Bühne, an deren Rand, der Instrumente versteckt hält, um sie zu holen, zu spielen und abzulegen. Es gibt kaum ganze musikalische «Nummern». Nur in den beiden Gedichten, die einmal integral, später oder vorher nur fragmentarisch erklingen, beteiligt sich die Sängerin in Terzetten mit den beiden.

 

Mit: Regie und Ausstattung: Ingrid Erb, Dramaturgie: Pierre Sublet. Leila Pfister (mez),  Niklaus Kost (bar), Jürg Kienberger (voc), Conrad Steinmann (Blasinstrumente), Helena Winkelman (va)

 

Unterstützt von: Pro Helvetia, Fachausschuss BS/BL, Burgergemeinde Bern, Fondation Nicati de Luze, SUISA, SIS, Fondation Nestlé pour l’Art, Gesellschaft zu Ober-Gerwern, Oertli Stiftung, GVB Kulturstiftung Bern

Eine Koproduktion mit den Jardins Musicaux in Cernier und dem Festival Neue Musik Rümlingen.

 

 


Musiktheater #4

 

Anda Kryeziu: «Tobold» (UA)

Premiere 19. September 2021, 17.00 Uhr und 19.00 Uhr → Saal Gasthaus Linde, Heiden

ein MusikTheaterAbend über Robert Walser.

eine Koproduktion von  des Festival Rümlingen mit dem Fringe Ensemble, Bonn und Cantando Admont, Graz

 

In der kleinen Erzählung «Der fremde Geselle» begegnet uns der Name Tobold bei Walser zum ersten Mal schon früh. Ein Ich erzählt uns von einem Fremden, der kurz vorm Haus haltend zum Ich heraufschaute und dann weiterzog. Nachts in Gedanken an diese kurze Begegnung wachliegend, gibt es dem Weiterziehenden den Namen Tobold, der später immer wieder in vielen weiteren Geschichten Walsers auftaucht.

«Tobold liebte alles Alte, alles Ge- und Verbrauchte, ja, er liebte sogar bisweilen Verschimmeltes. So zum Beispiel liebte er alte Leute, hübsch abgenutzte alte Menschen.» Walsers Gestalten sind immer randständig, niemals Mitglied der Gesellschaft. Und das haben sie mit den Figuren Franz Kafkas gemein. Aber wie bei Kafka liegt in ihrer Demut ein unbändiger Widerstand und Eigensinn.

Tobold – auch der Titel eines verschollenen Romans – wird oft als Pseudonym Robert Walsers verstanden. Das Musiktheaterprojekt «Tobold» wird sich diesem Figurentypus nähern. Der Text setzt sich zusammen aus Fragmenten der frühen Erzählungen; dabei wird die oben erwähnte Prosa «Der fremde Geselle» ein leitmotivisches Zentrum bilden.

Das Format aus Gesprochenem und Gesungenem drückt sich in der Besetzung aus, die sich aus einem kleinen Gesangs- und Sprecherensemble zusammensetzt. Der Entwicklungs- und Probenprozess gestaltet sich in verschiedenen Phasen, in denen Komposition, Textauswahl und -verteilung überprüft und weiterentwickelt werden. Text – gesprochen und/oder gesungen – ist neben dem Transport von Inhalt immer auch Klang, mit welchem wir über die Spatialisierung musikalische Räume schaffen werden. Es wird sowohl mit acappella-Gesang als auch der elektronischen Transformation der Stimmen gearbeitet.

Die unterschiedlichen Aufführungsorte – Uraufführung ist im Gastraum der Alten Linde in Heiden, folgende in offen zu nutzenden Theatersälen in Graz, Bonn und Berlin – erfordern ein ortsunabhängiges Raum-Konzept. Hier wird es vorrangig um eine Interaktion der durch Klang (s.o.) geschaffenen Räume und der visuell entstehenden Öffnungen gehen. Projektionsflächen und Möglichkeiten werden mit der jeweilig vorhandenen Raumstruktur entwickelt und an die einzelnen Orte der Aufführungen adaptiert!

Mit: Regie: Frank Heuel. Ausstattung: Annika Ley. Schauspiel: Bettina Marugg, Philip Schlom. Gesang: Helena Sorokina (mezz/alt), Christoph Brunner (bass/bar). Musikalische Leitung: Cordula Bürgi

 

Unterstützt von: Kunststiftung NRW

Spaziergänge

 

Bei den Spaziergängen verzichten wir auf eine Covid-Zertifikatspflicht. Wir bitten Sie aber, Abstand zu wahren, grösssere Ansammlungen zu vermeiden und bei Bedarf eine Maske zu benutzen.

 

 1. Spaziergang

 

Samstag 18. September 2021, Einlass 11.00 – 14.00 Uhr

Von → Teufen (AR – Bürgerort Walsers) nach → Trogen (AR).

Treffpunkt: Zeughaus Teufen

 

Der Weg ist streckenweise steil und anstrengend. Unbedingt gutes Schuhwerk und eine kleine Verpflegung mitnehmen. Reine Gehzeit 2h10m. Geschätzte Gesamtdauer 5 h.

 

Im Zentrum des ersten Walser-Spaziergangs stehen die späten Mikrogramme von Robert Walser. Der Weg führt die Zuschauer:innen in den Rösslisaal Trogen zur Aufführung von Roland Mosers neuem Musiktheater «Die Europäerin» und lotet das «literarische Bleistiftgebiet» im Spätwerk Robert Walsers aus. Gleichzeitig suchen wir Anknüpfungspunkte in der Landschaft, die Robert Walser zwischen 1936 und 1956 mit seinem Vormund Carl Seelig erwandert hat. In beiden Dörfern hat Walser auf seinen Spaziergängen regelmässig den lokalen Wirtshäusern einen Besuch abgestattet.

 

  • Cathy van Eck: «What we keep» Installation (2021)
  • Ruedi Häusermann: «Unterricht in der Kunst, die Fröhlichkeit nicht einzubüssen» Für Sprechstimme, Bassklarinette, Bass und Schlagzeug (2021) UA. Ruedi Häusermann (comp, bcl, fl, örgeli), Marco Käppeli (perc), Claude Meier (kb, b), Herwig Ursin (Sprecher, xyl, örgeli)
  • Brigitta Muntendorf: «GUESSWORK» Für Chor und Elektronik, nach einem
    Mikrogramm von Robert Walser (2021), UA. Chorwald, Leitung: Jürg Surber.
  • Mathieu Corajod: «Holz» Kleines Stück für eine Geige (2021) UA. Diego Ramos Rodríguez (Violine, Ensemble Garage Köln).
  • Chuchchepati Orchestra: «Der Makrograph -Volume 1: Mikrogramm 400» Konzert-Installation für Lautsprecher, sehr grosse Vinylplatte und Orchester (2021) UA. dieb13 (turntables), Patrick Kessler (kb)
  • Eva-Maria Houben: «walser lesen», 1. Schnee mit Instrumenten, Stimmen & viel Zeit (2007). Ensemble ImProContra, Basel:  Rieke Volkenandt (Klarinette), Zora Weidkuhn (Harfe), Kaja Marina Weiss (Bratsche) Linus Neulinger (Gitarre) Elio Fistarol, (Bassklarinette), Anna Geser (Percussion), Sylwia Zytynska (Einstudierung)
  • Stephan Froleyks: «WalserWald» 78 Übungen (2021) UA. Klanginstallation mit Stimmen, Blasinstrumenten und zwei Klaviertorsi. Jugendmusik Rehetobel, André Meier, Paul Hübner, Dionys Tschopp (alle tp), Till Künkler (tb): alle Ensemble Garage Köln
  • Alfons Karl Zwicker: «R.W.s Blick auf JUPITER und PEGASUS» für Frauenchor, Bariton, Schlagzeug (2 Spieler) und Akkordeon (2021) UA. Chor sinGALLinas, Leitung: Michael Schläpfer (bar). Dirk Rothbrust (perc), Yuka Ohta (perc), Drazen Gvozdenovic (acc): alle Ensemble Garage Köln.
  • «Walserhalte» ≥ Bettina Marugg, Frank Heuel & Ueli Jäggi (Sprecher:innen), Nils Kohler (cl), Goran Kovacevic (acc), Francisco Obieta (cb)

 

 


2. Spaziergang

 

Sonntag 19. September 2021 – Einlass 10.00 – 13.00 Uhr

Von → Wald (AR) nach → Heiden (AR) oberhalb Rorschach (SG).

Treffpunkt: Restaurant Schäfli, Wald

 

Der Weg ist streckenweise steil und anstrengend. Unbedingt gutes Schuhwerk und kleine Verpflegung mitnehmen. Reine Gehzeit 2h30m. Geschätzte Gesamtdauer 5h30m.

 

Im Zentrum des zweiten Walser-Spaziergangs steht das Frühwerk Robert Walsers: Kurzprosa aus den Prosa-Sammlungen «Geschichten», «Aufsätze» und «Kleine Dichtungen» treten in Dialog mit der Landschaft des Appenzeller Vorderlands. Rund um die Strickerei Tobler AG in Rehetobel scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, man würde sich nicht wundern, wenn der «Gehülfe» oder einer der Absolventen der von Walser besuchten Dienerschule aus dem Gebäude treten würden. Zwischen Heiden (Appenzell Ausserrhoden) und Thal (Kanton Sankt Gallen) bewirtschafteten Verwandte von Carl Seelig Weinberge – mit ein Grund, weshalb die gemeinsamen Spaziergänge von Robert Walser und Carl Seelig auffällig oft in das Weinbaugebiet zwischen Rorschacherberg und Heiden führten? Die unterschiedlichen musikalischen Blickwinkel auf Walser führen hin zur Abschluss-Inszenierung des Festivals: «Tobold» – basierend auf der Kurzgeschichte «Der fremde Gehülfe» – der Komponistin Anda Kryeziu.

 

  • Lilian Beidler: «wandelnd» Skulptur mit bewegten Klängen (2021) UA. chorwald, Leitung: Jürg SurberSylwia Zytynska: «Hinweg» ein Klanggebiet am Wegrand (2021) UA. Schülerinnen und Schüler der Schlagzeugklassen Cathrin Züst und Farida Hamdar, Musikschule Appenzeller Vorderland, Ensemble ImProContra, Basel: Rieke Volkenandt (Klarinette), Zora Weidkuhn (Harfe), Kaja Marina Weiss (Bratsche), Linus Neulinger (Gitarre), Elio Fistarol, (Bassklarinette), Anna Geser (Percussion)
  • Alfons Karl Zwicker: «Barken voll Lust und Musik» für Frauenchor, Schlaghölzer, Klangschalen und Bassklarinette (2021) UA. Chor sinGALLinas, Leitung: Michael Schläpfer. Richard Haynes (bcl, Ensemble Garage Köln).
  • Carola Bauckholt: «Laute» nach der gleichnamigen Geschichte von Robert Walser für Schlagzeug (2021) UA. Dirk Rothbrust (perc, Ensemble Garage Köln).
  • Gisa Frank / Urban Mäder: «Es cho + es go» Eine Performance am Weg durch Rehetobel mit einem Haufen Bläser:innen und Akteur:innen (2021) UA. Brass Band und Jugendmusik Rehetobel, Leitung: Benjamin Markl & Marianne Zähner
  • Paul Giger / Andres Bosshard: «Labyrinth» Klanginstallation mit live-Bespielung (2021) UA. Paul Giger (Violine), Andres Bosshard (Klangregie).
  • Charles Uzor: «Hier in diesem zierl’chen Prunkgebäude» Musik für Chor, Gehende und Klangschalen nach Robert Walser (2021) UA. chorwald (Leitung: Jürg Surber), Isabel Pfefferkorn (voc)
  • Francisco Obieta/Patrick Kessler: «Gradus ad Kaienspitzum» Schritt um Schritt zum Gipfel mit Robert Walser (2021) UA. Kontrabassorchester mit Bassist:innen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Liechtenstein und Deutschland
  • Nicolas Berge / Lucia Kilger: «insertions» Audiowalk für Klarinette, Violine, Viola, Schlagwerk und mobiles Zuspiel (2021) UA. Nils Kohler (cl), Diego Ramos Rodríguez (vl), Annegret Mayer-Lindenberg (va), Yuka Ohta (perc): alle Ensemble Garage Köln.
  • Daniel Ott: «Seestück» nach Robert Walser für Akkordeon, Hackbretter, Trompeten, Posaunen & Schlagzeug (2021) UA. Elias Menzi & Töbi Tobler (Hackbrett), Goran Kovacevic (acc), Paul Hübner & André Meier (tp), Till Künkler (tb), Brass Band und Jugendmusik Rehetobel

 

Jahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft

Musikalische Intermedien während des Symposions
(Ur)aufführungen von Liedern und Melodramen von:

  • James Simon (1880–1944): «Gebet» (1912) (EA) und «Gelassenheit» (1913), (UA)
  • Anna Renfer (1896–1984): «Langezeit» und «Unser Weg» (Carl Seelig), komponiert um 1950, (vermutlich UA)
  • Wilhelm Arbenz (1899–1969): «Drei Lieder» (1939)
  • Hans Wüthrich (1937–2019): «Arabien» (2002)
  • Heinz Holliger (*1939): «Klar-i-nettliches Zwiegesängelchen» (1996), (UA der Melodramfassung) mit zwei Klarinetten und zwei Flüsterstimmen
  • Roland Moser (*1943): «Walser-Liedchen» (1996) für Mezzosopran allein (1996).
  • Roland Moser (*1943): «Der Lärchen/Lerchen helle Äste» (2021), (UA) für Mezzosopran allein (2021), (UA).
  • Anette Schmucki (*1968): «am fenster» (1996) für Sopran (hohe Stimme und Sprechstimme) und Akkordeon (1996.)

 

Ausführende:
Salome Kammer (Gesang), Malgorzata Walentynowicz (Klavier), Teodoro Anzellotti (Akkordeon & Stimme), Donna Wagner-Molinari (Klarinette), Ernesto Molinari (Klarinette), Marcus Weiss(Stimme), Francisca Naef (Gesang)


Ausführliches Programm des Symposions

 

Freitag, 17. September

 

15.30 Uhr: Eröffnung Symposion «Robert Walser und die Musik»

 

Begrüssung

Kerstin Gräfin von Schwerin, Präsidentin der Robert Walser-Gesellschaft

Daniel Ott, Leiter Festival Neue Musik

 

James Simon (1880-1944): Gebet nach Robert Walser aus Lieder für mittlere Stimme und Klavier op. 6 (1912), Europäische Erstaufführung

James Simon (1880-1944): Gelassenheit nach Robert Walser aus Sechs Lieder für mittlere Stimme und Klavier op. 17 (1914), UA

 

Salome Kammer, Gesang

Malgorzata Walentynowicz, Klavier

 

Prof. Dr. Barbara Naumann, Zürich:

Trio der Interpretation: Robert Walser – Paganini – Goethe

 

Ein Buch ist für Robert Walser in kleinen Texten aus den 1920er Jahren so etwas wie die historische Tanzform Menuett, wie eine Plauderei oder ein Konzert des Geigenvirtuosen Paganini. Oder geht es nicht vielmehr um eine (heimliche) Auseinandersetzung mit Goethe und dessen Kommentaren zum Wundergeiger? Historische Musik führt Walser zur eigenen Gegenwart – und zu einer literarischen Selbstverortung.

 

Barbara Naumann, Prof. em. Für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, Gründerin und Co-Herausgeberin der figurationen. Bis 2020 Leiterin der digitalen kritischen Ausgabe ausgewählter Briefwechsel Johann Caspar Lavaters. 2016 war sie Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien; 2018 Senior Fellow am Forschungskolleg Morphomata in Köln. Autorin von (Auswahl): Musikalisches Ideen-Instrument. Das Musikalische in Poetik und Sprachtheorie der Frühromantik. Stuttgart 1990. – Bilderdämmerung. Bildkritik im Roman. Basel 2012. – Zus. Mit A. Kleihues und E. Pankow (Hg.): Artistische und kulturelle Dynamiken des Austauschs. Zürich 2010 – «Adorno: ‹Die Sprachähnlichkeit steigt mit dem Fallen der Mitteilung›». In: Thomas Fries, Sandro Zanetti (Hrsg.): Revolutionen der Literaturwissenschaft 1966–1971. Berlin 2019, 57–74.

 

16.30 Uhr

Musikalischer und historisch-literarischer Rundgang im Psychiatrischen Zentrum Herisau

 

Oliver Rutz *1998 CH, Bächli: «Sonst zieh’ ich immer erst einen Prosastückkittel an.» (2020) UA

Mit: Ensemble SoloVoices: Francisca Näf (Mezzosopran), Jean-J. Knutti (Tenor), Jean-Christophe Groffe (Bass), Olivia Steimel (Akkordeon)

 

18.00 Uhr: Einführung zu «Zeugen» von Georges Aperghis

Roman Brotbeck und Marcus Weiss

 

18.45 Uhr: Apéro riche.

 

20.00 Uhr: Georges Aperghis: «Zeugen» für Sängerin, Ensemble und sieben Handpuppen von Paul Klee (2007) Konzertante Neufassung (2021) UA

 

 

Samstag, 18. September

9.00 Uhr: Generalversammlung der Robert Walser Gesellschaft

 

Heinz Holliger (*1939): Klar-i-nettliches Zwiegesängelchen (1996), UA der Melodramfassung

 

Donna und Ernesto Molinari, Klarinette und Bassklarinette

Marcus Weiss und Teodoro Anzellotti, Flüsternde

 

10.30 Uhr: «Von Gedichten, Komödien, Aufsätzen, Geschichten und Räubern» – Vorstellung der Neuerscheinungen der Kritischen Robert Walser-Ausgabe 2020/2021

 

13.30 bis 18.00 Uhr: Symposium (Fortsetzung): «Robert Walser und die Musik»

 

Prof. Dr. Alexander Honold, Basel:

Die Tonspur des Erzählens. Zum Performanz-Charakter von Walsers schriftlicher Mündlichkeit

 

Anhand von Walsers Berliner Kurzprosa (bes. Aufsätze 1913, Geschichten 1914) soll der Frage nachgegangen werden, wie der Autor in diesen zunächst publizistisch verstreuten, thematisch disparaten Prosastücken auf unterschiedliche Weise die darin involvierten Figuren zur Sprache kommen lässt und dabei einige Grundformen seines in den 1910er-Jahren sich ausprägenden Erzählstils zu entwickeln beginnt. Diese folgen dem implizit paradoxen Ideal einer schriftlichen Mündlichkeit: Obwohl (oder gerade weil) die Textstücke für diese Sammelpublikationen durch betonte Gattungs-Merkmale dezidierter Schriftlichkeit (Aufsätze) und narrativer Handlungsdarstellung (Geschichten) gekennzeichnet werden, bewegen sich die behandelten Personen, Schauplätze und Stoffe überwiegend in einem Modus performativer Halbdistanz sowohl zum Medium ihrer textuellen Fixierung wie auch zu den jeweils supponierbaren Plot-Strukturen.

Wenn bereits von zeitgenössischen Rezensenten so treffend wie hilflos festgestellt wurde, dass sich der ‹Inhalt› respektive das Handlungsgeschehen in Walsers Prosastücken nicht nacherzählen lasse, so liegt in diesem prima vista negativen Bestimmungsmerkmal bereits der Schlüssel eines poetologisch konstitutiven Verbindungselements: der bemerkenswerte (und suggestiv sympathisch wirkende) Umstand nämlich, dass in der Mehrzahl dieser Stücke das Erzählbare sich nahezu vollständig in den Auftritt von Stimmen und Redeformen aufgelöst hat. Nicht zufällig nehmen Schauspiel-Situationen und die Figurenreden von Akteuren und Ausführenden im Register dieser Stimmen-Prosa breiten Raum ein, gefolgt von historischen Stoffen, Kunst-Mythen und literarischen Vorlagen, zu denen durch befragende Dialogpartien und ironische Soliloquien ein aktualisierender Zugang eröffnet wird.

Was Elias Canetti mit dem Begriff der «akustischen Maske» zu beschreiben versuchte – die Kunst, eine rollenbasierte Persönlichkeit durch differenzierte klanglich-rhetorische Redewiedergabe entstehen zu lassen –, findet in Walsers Berliner Kurzprosa eine frühe, elegante Verwirklichung, in der die Verbindlichkeit erzählerisch statuierter Handlungsräume aufgelöst wird in die Dynamik eines vielstimmigen prosaischen Sprechtheaters, aus dem ein akustisches Kaleidoskop des modernen Lebens in seinen Ungleichzeitigkeiten hervorgeht.

Schriftliche Mündlichkeit – ein implizit paradoxes Ideal, das wir in Walsers Berliner Kurzprosa finden.

 

Alexander Honold ist seit 2004 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Seine aktuelle Forschung umfasst diverse Projekte in der Interkulturalitätsforschung (bspw: «Postkoloniale Studien in der Germanistik») oder der Kulturtheorie in der Moderne, mit «Edition Walter Benjamin» und in der Erzählforschung zu «Prekäres Erzählen bei Robert Walser».

 

Roland Moser, Allschwil:

Wie tönt Walser? – ob Glocken klingen – Prosa läuft

 

In Walsers späterem Schreiben wurden Klänge von Silben, Buchstaben, Wörtern und ihre Rhythmen gern «bleistiftführend». Sinngehalte folgten diesem Strom assoziativ, pointilistisch. Im Gegenzug konnten auch absichtlich konventionelle, gar umständlich verlängerte Formeln ihr eigenes, prekäres Eigenleben führen. Ein musikalischen Fortschreitungen nicht fremdes Verfahren: Mit Ton- und Motivwiederholungen, Transpositionen, Sprüngen entsteht da ein Innenleben, das, sprachlichen Lyrik-Regeln nicht unähnlich, in Schach gehalten wird, um sich in der Auflösung von Formeln ständig zu beleben. Das gehört gewiss zum Spiel und ist manchmal vielleicht sogar Sinn des Ganzen.

 

Nach Studien in Bern, Freiburg/Br., Köln lehrte Roland Moser jahrzehntelang Komposition und Musiktheorie an den Musikhochschulen von Winterthur und Basel.

Seit 2008 Tätigkeit als freier Komponist. Mitglied des Ensemble Neue Horizonte Bern. Umfangreiches Oeuvre mit über 100 Titeln, von der Miniatur bis zur Oper.

Schwerpunkte: Seit 1970 grosse Werkgruppe mit einer neuen Sicht auf besondere Exponenten der deutschen Romantik. Ein Dutzend Orchesterwerke mit sehr unterschiedlichen Besetzungen. Übertragung gesprochener Sprache auf Instrumentalmusik. Lieder und verschiedenartige Chorwerke. Schreibt mittlerweile am liebsten für befreundete Musikerinnen und Musiker in einem Umfeld zwischen Texten, Bildern, Menschen.

 

14.45 Uhr

Kleines Konzert

 

Roland Moser (*1943): Walser-Liedchen (1996) für Sopran allein

Roland Moser (*1943): Der Lärchen/Lerchen helle Äste (2021) für Sopran allein, UA

 

Wilhelm Arbenz (1899–1969): Drei Lieder (1939)

 

Anna Renfer (1896–1984): Langezeit und Unser Weg (Carl Seelig), (ab 1936) UA

 

Hans Wüthrich (1937–2019): walser arabien (2002)

Daniel Glaus (*1957): Beiseit (1980) UA

 

Thomas David Müller (*1953): Beiseit (2020) UA

 

Salome Kammer, Sopran

Małgorzata Walentynowicz, Klavier

Annette Schmucki: am fenster für Sängerin (hohe Lage und Sprechstimme) und Akkordeon (1996)

 

Francisca Näf, Mezzosopran

Teodoro Anzellotti, Akkordeon

 

16.00 Uhr

Dr. Silvan Moosmüller, Basel:

«Still, hören wir, was die Musik uns ferner will». Musikalität in Robert Walsers Märchen-Dramoletten

 

Aschenbrödels Aufforderung, auf die Musik zu hören, nehme ich in meinem Vortrag als Interpretationsanweisung, um Robert Walsers drei Märchen-Dramolette (Aschenbrödel, Schneewittchen, Dornröschen) in einen musikalischen Zusammenhang zu stellen. Auch wenn die Musik nur im Aschenbrödel einen expliziten Auftritt hat, ist in allen drei Dramoletten ein musikalisches Prinzip am Werk, das ich in meinem Vortrag genauer beleuchte: Das Prinzip der performativen Interpretation. In dieser inhärenten Musikalität der drei Stücke liegt denn auch eine mögliche Erklärung, warum sie besonders häufig vertont wurden.

 

Silvan Moosmüller, 1987 in Luzern geboren, studierte Deutsche Philologie und Musikwissenschaft an der Universität Basel. 2019 promovierte er mit einer Arbeit zur Semantik der Stimmung in Musik und Literatur um 1700. Er ist als Musikjournalist beim Schweizer Radio SRF 2 Kultur tätig, und als Gastdozent an der Hochschule Luzern – Musik und am Deutschen Seminar der Universität Basel. In seinem Postdoc-Projekt beschäftigt er sich mit »Kollektivem Erzählen« in der Gegenwart.

 

Dr. Corinne Holtz, Zürich:

Ich finde es schön, dass sie unglücklich ist. Walsers Frauen in der Musik

 

Der Erzähler geniesst eine Frau «schon mit den Ohren», wenn sie sich ihm mit Ton und Stimme «offenbart». Weint Lisa, «Feldwebel» des Instituts Benjamenta (Jakob von Gunten), «bin ich so seltsam glücklich». Bangt Frau Tobler um ihr Leben, steigert das ihre Schönheit (Der Gehülfe). Was geschieht mit Walsers misogynen Imprägnierungen in der musikalischen Transformation? Welche Materialität wird den fliessenden Geschlechterbildern angemessen? Kann Musik Ironie? Eine Spurensuche in Werken von Georges Aperghis, Yonghee Kim, Helmut Oehring, Astrid Schlaefli, Benjamin Schweitzer, Peter Wettstein, Hans Wüthrich.

 

Corinne Holtz, Dr. phil., ist Musikerin, Musikwissenschaftlerin und Autorin, freischaffend für Radio SRF2 Kultur, NZZ, Du, Reportagen und schreibt Essays etwa für Opernhaus Zürich, Komische Oper Berlin, Salzburger Festspiele. Sie publizierte die erste Biografie der ostdeutschen Regisseurin Ruth Berghaus und promovierte über deren Leben, Werk, Methode. An der Berner Fachhochschule leitete sie das Forschungsprojekt Instrumentalunterricht 50plus und war Ko-Kuratorin des interdisziplinären Kulturprojekts hexperimente-die bühne im avers. www.corinneholtz.ch

 

Prof. Dr. Eva Maria Houben, Dortmund:
Walser lesen: Musik hören? Einige Werke Walsers als Anstiftungen zum Hören

 

(Per Zoom zugeschaltet)

Es geht viel Affirmation aus den Texten Robert Walsers hervor – Affirmation hier verstanden als Hinwendung zum Leben in all seinen Facetten und in all seiner Widersprüchlichkeit, als Fähigkeit, sich mitten hinein in eine Situation zu begeben, die ein Tun und ein Geschehen-Lassen zugleich ist. Sein Gedicht «Ein Schlummer» beschwört eine derartige Situation: «es soll etwas geschehen… – ach, lass doch das…» Eine musikalische Situation des Hörens! Der Vortrag beschäftigt sich mit diesem Gedicht und anderen sowie mit Prosatexten, die teilweise Anstöße zu Kompositionen (2004–2013) gaben.

 

Eva-Maria Houben studierte an der Folkwang-Hochschule für Musik Essen (Schulmusik, Künstlerische Abschlussprüfung), promovierte und habilitierte sich an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg. Von 1993 bis 2021 war sie als Professorin am Institut für Musik und Musikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund im Bereich Musiktheorie tätig. Sie ist verbunden mit der Wandelweiser-Komponistengruppe und arbeitet heute freiberuflich als Komponistin (siehe edition wandelweiser). www.evamariahouben.de; www.wandelweiser.de

 

18.15 Uhr: Ende des Symposions

 

19.00 Uhr: Bus nach Trogen

 

20.00 Uhr: Trogen, Rösslisaal

 

Roland Moser: «Die Europäerin» (2021). Musiktheater nach dem Mikrogramm 400 von Robert Walser

 

für tiefen Mezzo-Sopran, hohen Bariton, Schauspieler, tiefscordierte Viola, Blockflöte(n), resp. Okarina.

Regie (und Ausstattung): Ingrid Erb

Dramaturgie: Pierre Sublet.

Leila Pfister (Mezzosopran), Niklaus Kost (Bariton), Jürg Kienberger (Sprecher), Conrad Steinmann (Blasinstrumente), Helena Winkelman (Viola)

 

21.00 Uhr

Rückfahrt mit Bus nach Trogen und Abendessen der Robert Walser-Gesellschaft in Herisau

 

 

Das Musikprogramm während des Symposions

 

Freitag, 17. September 2021

 

James Simon (1880–1944): Gebet nach Robert Walser aus Lieder für mittlere Stimme und Klavier op. 6 (1912), Europäische Erstaufführung

 

James Simon (1880-1944): Gelassenheit nach Robert Walser aus Sechs Lieder für mittlere Stimme und Klavier op. 17 (1914), UA

 

Salome Kammer, Gesang

Malgorzata Walentynowicz, Klavier

 

Er ist der erste Walser-Vertoner: der Musikwissenschaftler, Pianist und Komponist James Simon. Er schrieb im romantisch-aufgelichteten Stil, Ferruccio Busoni war ein wichtiges Vorbild. In den späten 1920er Jahren engagierte sich Simon in der sozialistischen Bewegung. Später erlebt seine Familie die Wirren und Schrecken jener Zeit. Der ältere Sohn wird von Stalins Soldaten umgebracht, der jüngere Sohn und seine Frau können nach London fliehen, Simon wird in Amsterdam verhaftet und 1944 in Auschwitz ermordet. Viele seiner Werke sind verschollen.

 

Gebet

Gebet ist heute nacht

mein allereinzigst Tun.

Ich hab’ ihn ja vollbracht,

ich hab’ ihn hingewacht,

den Tag, und kann jetzt ruhn.

            (SW 13, 10) 1900

 

Gelassenheit

 

Seit ich mich der Zeit ergeben,

fühl’ ich etwas in mir leben,

warme, wundervolle Ruh’.

Seit ich scherze unumwunden

mit den Tagen, mit den Stunden,

schließen meine Klagen zu.

 

Und ich bin der Bürd’ entladen,

meiner Schulden, die mir schaden,

durch ein unverblümtes Wort:

Zeit ist Zeit, sie mag entschlafen,

immer findet sie als braven

Menschen mich am alten Ort.

            (SW 13, 28f.) 1899

 

Oliver Rutz *1998 CH, Bächli:

»Sonst zieh ich immer erst einen Prosastückkittel an.« Musikalischer Rundgang

für eine Frauenstimme, zwei Männerstimmen und Akkordeon (2020) UA

 

Zäuerli

Akkordeonstück

Sprechstück

Schlussstück

 

Ensemble SoloVoices

Francisca Näf, Mezzosopran

Jean-Jacques Knutti, Tenor

Jean-Christophe Groffe, Bass

Olivia Steimel, Akkordeon

 

Sonst zieh ich immer erst einen Prosastückkittel, also eine Art Schriftstellerjacke an. Das ist der Titel eines Mikrogramms von Robert Walser. In vier Teilen nähert sich der Zyklus Walser an: Er beginnt mit einem durch Mobiltelefone verfremdeten Zäuerli (die Appenzeller Bezeichnung für den Naturjodel). Es folgt ein ziemlich rabiates Akkordeonstück, das sich auf Walsers Lieblingsinstrument bezieht, die «Handharfe». Das Sprechstück spielt mit unterschiedlichen Entzifferungsvarianten dreier Mikrogrammausschnitte von Jochen Greven, Werner Morlang und Bernhard Echte, die auf die drei Sprechenden verteilt werden. Eine Collage aus Texten über den in Herisau verstummten Walser, über seine Aussagen und Verhaltensweisen, führt das Schlussstück zusammen. Ein besonderes Augenmerk bekommt der ‹Erbschaftsstreit› zwischen Carl Seelig und Jochen Greeven sowie der 1953 erfolgte Herisauer Besuch des späteren Professors für Psychiatrie an der Universität Bern, Theodor Spoerri.

 

 

Samstag 18. September 2021, Vormittag

 

Heinz Holliger (*1939): Klar-i-nettliches Zwiegesängelchen (1996), UA der Melodramfassung

 

Donna und Ernesto Molinari, Klarinette und Bassklarinette

Marcus Weiss und Teodoro Anzellotti, Flüsternde

 

Für die Hochzeit von Sabine Gertschen und Elmar Schmid komponierte Heinz Holliger einen Spiegelkanon als doppelten Kontrapunkt; den Stimmen unterlegte er das Gedicht Es wird Nacht. Es ist ein ‹Zwiegesang› der besonderen Art: völlige Autonomie der Stimmen, kaum gemeinsam einsetzende Töne, alles streng aufeinander bezogen und ineinander gespiegelt und – im stummen Melodram – viel Unausgesprochenes, Gedachtes. Für die Jahrestagung der Robert Walser-Gesellschaft gab Heinz Holliger die Einwilligung, das Duett als geflüstertes Melodram aufzuführen.

 

Es ist Nacht, und im Zimmer

hab ich der Lampe Schimmer.

Es ist Nacht, und im Herzen

hab ich der Unruhe Schmerzen.

Es ist Nacht, und im Sinne

habe ich selige Minne.

(SW13, 30) spätestens 1900

 

 

Samstag 18. September 2021, Nachmittag

 

Roland Moser (*1943): Walser-Liedchen (1996) für Sopran allein

 

Roland Moser (*1943): Der Lärchen/Lerchen helle Äste (2021) für Sopran allein, UA

 

In seinen einstimmigen Werken und Werkteilen – zum Beispiel im Soli-Teil von Die Engländerin« – beschäftigt sich Roland Moser mit der Frage des Fortschreitens: Welches soll der nächste Ton sein? Und wohin wird dieser führen? Soll ich an den Anfang zurückkehren oder mich immer weiter wegbewegen? Das begründet auch sein Interesse für Walsers literarisches Spätwerk, in dem dieses selbstreflektierende Fragen des Fortschreitens omnipräsent ist.

 

Aufrichtigkeit ist banal,

und keiner wird von Wahrheiten satt.

Ich ändere an der Welt nichts,

wenn ich vom Ändern rede.

Ich soll darum erfreulich

sprechen, unterhaltend sein

und liebreich und nachts müd und

am Morgen heiter,

unglücklich und glücklich,

die Last des Lebens, die goldene,

auf mich nehmen und abschütteln,

mich ergeben und mich wehren,

hin- und hersehen und so viel wie möglich

sein.

(AdB 2, 318)

 

Der Lärchen helle Äste

sind [am] eh’sten

man möchte so sagen, wegen

des Entzückens gegeben.

Frühling ist noch nicht da,

aber man glaubt beinah,

ihn um’s Haus schweben

zu sehen. Da zu stehen,

nicht weit[er] zu gehen,

verwundert zu sein

über sein unsichtbares Gesichtelein.

Die Stimme, die unhörbare,

ist süß, und bedeutend,

gleichsam läutend,

gleitet mit den schnellen

stillen Wellen

die klare Aare

fröhlichkeitverwandt vorbei.

Ob ich glücklich sei,

fällt mir nicht von fern ein, mich zu fragen.

(AdB 4, 265f.)

 

Wilhelm Arbenz (1899–1969): Drei Lieder (1939)

 

Wilhelm Arbenz ist der erste Schweizer Komponist, der Gedichte von Robert Walser vertonte. Er komponierte die Lieder am
1. September 1939, am Tage des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. In der Stadt Biel, die Arbenz in wenigen Jahren zu einem wichtigen musikalischen Zentrum gemacht hatte, weilten an diesem Tag ungefähr 5000 Soldaten, die dem Mobilisierungsbefehl Folge leisteten. Die Lieder sind in ihrer Feinheit und Modernität im Werk von Wilhelm Arbenz, das von Festspielen und Chorwerken zur geistigen Landesverteidigung dominiert ist, eine Rarität.

 

Enttäuschung

Enttäuschung vergißt man nie,

wie der Lockruf des Glücks unvergeßlich ist.

Erinnern ist Sehnsucht, ach, sie,

weil sie so unermeßlich ist,

vergißt man nie.

(SW 13, 24)

 

Trug

Nun wieder müde Hände,

nun wieder müde Beine,

ein Dunkel ohne Ende,

ich lache, daß die Wände

sich drehen, doch dies eine

ist Lüge, denn ich weine.

(SW 13, 28)

 

Wintersonne

Auf Wänden und an Mauern,

es wird nicht lange dauern,

brennt goldner Sonnenschein.

Der Tag hat aufgehoben,

was auf dem Land gewoben,

was Nacht und Nebel war.

Beruhigendes Lärmen,

Bruststrecken, Händewärmen,

seliger Sonnenschein.

Nun hab’ ich auch vergessen,

was lang auf mir gesessen,

was Schmerz und Schwere war.

(SW 13, 8f.)

 

Anna Renfer (1896–1984): Langezeit und Unser Weg (Carl Seelig), (vermutlich ab 1936) UA

 

Über die Berner Komponistin Anna Renfer ist wenig bekannt. Sie ist die erste Komponistin, die Robert Walser vertonte. In ihrer Sammlung 44 Lieder stellt sie Robert Walser in den Kontext der Berner und Schweizer Lyrik und bringt ihn mit Carl Seelig zusammen.

 

Langezeit

 

Ich tu mir Zwang,

zu scherzen und lachen.

Was soll ich machen?

Gewohnten Gang,

im müden Herzen,

gehn alte Schmerzen.

Ich muß den Hang,

zu weinen, bezwingen,

nebst andern Dingen.

(SW 13, 7f.) 1900

 

Hans Wüthrich (1937–2019): walser arabien (2002)

 

Der Linguist, Komponist und Spezialist des Théâtre musical Hans Wüthrich hat kaum Literatur vertont; walser arabien bildet eine Ausnahme. Er reflektiert darin mit minimalen theatralischen Mitteln Walsers Frauenbild: Dort nämlich, wo die Sängerin von der Schweigsamkeit der Frauen singen müsste, verstummt sie.

 

Arabien

In Arabien hat der Mann

einen Mantel flatternd an.

Mit romantischer Gebärde

reitet er auf herrl’chem Pferde.

Aus dem glühendgoldnen Sand

steigt wie eines Kindes Tand

die erquickliche Oase

wie die Blume aus der Vase.

 

Tagelang muß man dort reisen,

ehe man in einem leisen

Hauch von Bildungszentrum steht

und durch eine Straße geht.

Schweigsam sich die Fraun verhalten.

Mit nur spärlichen Gestalten,

wenn mich nicht ein Irrtum trügt,

jeder willig sich begnügt.

(SW 13, 248f.) 1930

 

Daniel Glaus (*1957): Beiseit (1980) UA

 

Der Komponist und Organist (Berner Münster) Daniel Glaus komponierte das symmetrisch angelegte Beiseit während seiner Studienzeit in Bern. Er ist eine sechstönige Auseinandersetzung mit Anton Webern.

 

Thomas David Müller (*1953): Beiseit (2020) UA

 

Es ist die jüngste von insgesamt 21 Beiseit-Vertonungen. Thomas Davis Müller, der langjährige Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, schrieb Beiseit für eine Amateursängerin. Mit einfachen Mitteln wird eine komplexe Musik geschaffen; die linke Hand ist in der mittleren Lage ›gefesselt‹, weil sie mehrere Tasten stumm drücken muss, damit die entsprechenden Saiten frei schwingen. Deren komplexe Resonanzen nimmt man wohl erst im Ausklang des Liedes wahr.

Beiseit

Ich mache meinen Gang;

der führt ein Stückchen weit

und heim; dann ohne Klang

und Wort bin ich beiseit.

 

Salome Kammer, Sopran

Malgorzata Walentynowicz, Klavier

 

 

Annette Schmucki: am fenster für Sängerin (hohe Lage und Sprechstimme) und Akkordeon

 

Francisca Näf, Mezzosopran

Teodoro Anzellotti, Akkordeon

 

Die Komponistin und Sprach-Experimentatorin (blablabor) Annette Schmucki fokussiert in ihrer Vertonung die Anzahl Verben und Substantive (12 Substantive, bestehend aus sechs Wörtern) des Gedichtes Am Fenster. Das Akkordeon wechselt immer wieder ins Standardbass-Register. Das ruft jenes einfache Akkordeon in Erinnerung, das Walser in seinem Werk als ›Handharfe‹ lobtet.

 

Kommentare: Roman Brotbeck

 

Unterstützt von: Kulturförderung Appenzell Ausserrhoden, Johannes Waldburger Stiftung, Steinegg, Fred Styger Stiftung, Gemeinde Herisau, Stiftung Herisau in Zusammenarbeit mit dem Robert Walser Zentrum.